Quelle: Frank de Blijen

Betriebsführung 1. June 2023 Wie agil muss ein Handwerksbetrieb sein?

Das Ergebnis zählt – so lautet die Maxime beim „agilen Arbeiten“. Es geht darum, Produkte und Dienstleistungen effizient und effektiv herzustellen, Hierarchien rücken dabei in den Hintergrund. Das ist im Handwerk nicht immer einfach, wo traditionell „der Chef“ (und längst auch „die Chefin“) Aufträge organisiert und vergibt.

Die Mitarbeiter in "agilen Organisationsstrukturen" arbeiten sehr selbstständig, zeitweise sogar autonom. Im Idealfall entlastet das die Leitung, führt zu höherer Zufriedenheit in der Belegschaft und steigert die Produktivität. Handwerkliche Tradition muss dabei nicht auf der Strecke bleiben.

Auf der anderen Seite gibt es zu wenig Nachwuchs: Dem (Metall-)Bauhandwerk fehlen Azubis. Obwohl Lehrlinge heute gutes Geld verdienen und ausgezeichnete Übernahmechancen haben, entscheiden sich viele junge Menschen für andere Berufe. Kann die Lösung eine moderne(re) Betriebsführung sein, die oft mit dem Adjektiv „agil“ beschrieben wird?

Agiles Arbeiten braucht eine agile Organisationskultur mit agilen Methoden – allgemein, also auch im Handwerksbetrieb. Dazu zählen Flexibilität, Spontanität und eine entsprechend kreative Arbeitsweise rund um die jeweilige Aufgabenstellung als die wichtigsten Punkte dieses innovativen Arbeitsmodells. Agiles Arbeiten passt sogar besonders gut zum Handwerk, da sich  Aufträge sehr oft dynamisch entwickeln und es üblich ist, kurzfristig Teilaufträge neu- oder umzuplanen. Schließlich kann ein Chef nicht auf jeder Baustelle oder ständig überall in der Werkhalle sein. Anders gesagt: Die Führung gewinnt durch höhere Eigenverantwortung der Teams Zeit, die dann für ihre Kernaufgaben genutzt werden kann (oder sogar als Freizeit!).

Ein Trumpf des „Prinzips der Agilität“: Es stellt die individuellen Stärken der einzelnen Mitarbeiter in den Vordergrund. Mit dieser Haltung wurden (schon vor mehr als 20 Jahren!) die Kernpunkte definiert und 2001 im „agilen Manifest“ definiert:

  • Mitarbeiter und Interaktionen stehen über den Prozessen und Methoden.
  • Ein funktionierendes Produkt ist wichtiger als die Dokumentation aller Projektdetails.
  • Das Feedback und die Einbeziehung der Kunden sind wichtiger als die Einhaltung fester Regeln.
  • Es ist besser, spontan auf Situationen oder Veränderungen zu reagieren, als an einem starren Plan festzuhalten.

Die fünf Kernpunkte einer agilen Organisation

Kommunikation: Ohne Kommunikation funktioniert keine Organisation. Beim agilen Arbeiten geht dies über Ansagen „Von-Oben-nach-unten“ hinaus. Die Betriebsangehörigen bekommen Einblick in die aktuelle Auftragslage und entscheiden mit, wenn es darum geht,  was wann und wie erledigt wird. So steht das gesamte Team hinter dem Betrieb. Das führt dann auch zu …

Transparenz: Wie ist die Lage in der Branche, was macht der Wettbewerb? Welche Ziele verfolgt der Betrieb kurz- und langfristig? Mit Offenheit über die Interna ist der nächste Baustein gesetzt, um die Belegschaft auf gemeinsames Handeln einzuschwören.

Kunden- und Serviceorientierung: Damit ist die Kommunikation mit den Auftraggebern gemeint – kontinuierlich und auch, wenn gerade kein gemeinsames Projekt ansteht. Der Unternehmer muss seine (Haupt-)Kunden kennen, um agil planen zu können. Er (oder sie) muss die Organisationsstruktur kundenorientiert ausrichten. Wem das gut gelingt, leitet daraus bereits Anforderungen an den Betrieb ab, die erst in der Zukunft entstehen.

Kontinuierliche Verbesserung: Setzt der Betrieb etwas so um, wie er es seit 20 Jahren tut, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er es heute falsch macht. Soll heißen: Alle Prozesse gehören regelmäßig auf den Prüfstand. Auch das Gespräch mit den Kunden bringt oft Ansatzpunkte, um eigene Abläufe zu optimieren. Die Sicht der Mitarbeiter berücksichtigen „agile Chefs“ ohnehin, um Probleme zu lösen und den Handwerksbetrieb als Organisation zu verbessern.

Spezialisierung/Fokussierung: Was läuft besonders gut, wo tauchen regelmäßig Reibungs­verluste auf? Der „agile Blick“ sucht nach den ertragreichen Prozessen. Für den Handwerksbetrieb kann das bedeuten, sich innerhalb seines Gewerks weiter zu spezialisieren.

So wird ein Handwerksbetrieb agil

Wer genau hinschaut wird feststellen: So weit weg von einer agilen Struktur sind viele Betriebe gar nicht. Die vier Grundlagen Mitarbeiterorientierung, Ergebnisorientierung, Kundenorientierung und Problemlösungs-Kompetenz sind oft längst vorhanden. Wo Teams vor Ort ihre Aufgaben eigenständig lösen (dürfen), sind die Prozesse bereits agil, und die Ergebnisse stimmen in der Regel auch. In dieser Arbeitsweise liegt die Chance, aus dem Feedback der Teams den Betrieb insgesamt weiterzuentwickeln. Positiver Nebeneffekt: Je intensiver die Teams in die Entscheidungen eingebunden sind, desto familiärer ist das Betriebsklima. Wer als Chef (oder Chefin) zögert, Verantwortung zu übertragen, sollte sich vor Augen halten: Auch viele Mitarbeiter sind Experten mit hoher fachlicher Qualifikation. Aus dem Pool der Erfahrungen lässt sich mehr herausholen, als wenn Chefs stets alle Entscheidungen alleine treffen.

Wenn es gelingt, aus der morgendlichen Ansprache und Aufgabenverteilung einen Dialog zu entwickeln, an dem sich die ganze Crew beteiligt – inklusive Lehrlinge – und in der Feedback von allen zu den aktuellen Projekten kommt, ist der aktuelle Prozess schon erreicht (und ein Unternehmensberater würde es SCRUM nennen). Dieser Austausch sorgt schnell und effizient für Verbesserungen im Arbeitsalltag – oft sogar bei Abläufen, die bereits lange im Betrieb implementiert sind.

Warum das Handwerk ideal für agiles Arbeiten ist …

Kurze, schnelle Entscheidungswege und (durchaus starke, aber) flache Hierarchien sind im Handwerk Standard – das passt zum agilen Selbstverständnis. Kleine, autonome Teams und die oftmals familiäre Atmosphäre verstärken diese Basis. Sobald die ersten positiven Erfahrungen vorliegen, werden es die Chefs auch zu schätzen wissen, dass sie nicht für jede Entscheidung gebraucht werden – und so Zeit für andere Aufgaben gewinnen.

… und wo die Hürden liegen

Vielen Chefs fällt es schwer, Verantwortung abzugeben. Das ist manchmal auch verständlich, da sie juristisch und wirtschaftlich beim Inhaber bleibt, auch wenn andere entscheiden. Der Weg kann sein, Verantwortung schrittweise zu übertragen. So lernen die Teams, die Verantwortung anzunehmen und die Chefs entwickeln Vertrauen in die Entscheidungskompetenz der Mitarbeiter. Ist auch Punkt 2 erfüllt (Transparenz) und kennen die Mitarbeiter Strategie und Vision des Betriebs, haben sie gute Leitplanken für ihre Entscheidungen.

Gerade jüngere Menschen erwarten heute, dass sie im Betrieb stärker eingebunden werden und ihre Stimme gehört wird. Das wird mit agilem Arbeiten erfüllt. Wer transparent (!) zeigen kann, dass sein Betrieb nach diesem Prinzip läuft, steigert also auch seine Chancen, gute Bewerber zu bekommen. Da die weiteren Strukturen gut zum Handwerk passen, lässt sich dies auch gut mit der handwerklichen Tradition verbinden. Probieren Sie es doch einfach einmal aus!

Einfach loslegen – oder schulen?

Agiles Arbeiten – das klingt ja einfach. Doch tatsächlich ist es für viele Betriebe mit einem Paradigmenwechsel verbunden. Der Schwenk zur neuen Arbeitsmethode sollte gut vorbereitet werden, zunächst mit der Entscheidung für den Prozess und dann mit dem Einbeziehen aller Mitarbeiter. Zum Start gehören auch die zentralen Werte des Unternehmens auf den Prüfstand: Welche Ziele, welche Grundsätze, welches Selbst­verständnis (Vision, Mission etc.) verfolgt der Betrieb? Das ist das­ Gerüst, das jedem Betriebsangehörigen bekannt sein muss.

Gerade der Start gelingt oft schneller, effizienter und nachhaltiger, wenn erfahrene Coaches die Einführung begleiten. Spezialisierte Fachleute sind bei den meisten Handwerkskammern bekannt – dann bekommen Sie einen Experten, der die spezifischen Strukturen im Handwerk kennt.

Digitale Helfer

Zur agilen Führung gehört dialog-orientierte Kommunikation – im Gegensatz zur alten Einweg-Kommunikation von oben nach unten. Dieser Austausch findet zudem oft auch zeit- und ortsunabhängig statt und genau dafür gibt es heute eine Vielzahl an digitalen Plattformen, die diesen Dialog vereinfachen. Eine kleine Beispiel-Liste:

WhatsApp ist sicher der bekanntest Dienst und optimal, um in Gruppen Infos schnell auszutauschen. Es lassen sich für jeden Anlass Gruppen bilden, zum Beispiel „Alle Betriebsangehörige“, „Schweißteams“, „Montageteams“, der Austausch von Dateien ist  einfach möglich. Besonders bequem für Büro-Arbeitsplätze ist die Web-Version, über die sich WhatsApp auch über den PC bedienen lässt. Alternativen sind unter anderem Telegram, Threema oder Signal.

Slack funktioniert ähnlich, ist noch stärker auf Unternehmen zugeschnitten und für Tablets (nicht für Smartphones) optimiert. Zudem ist keine SIM-Karte notwendig.

Trello ist ein Tool für umfassendes Aufgabenmanagement. Teammitglieder organisieren gemeinsam Aufträge, können Teilaufgaben hinzufügen oder ihren Status verändern (zum Beispiel von „im Prozess“ auf „erledigt“). Wird dies diszipliniert angewandt, stehen die Stände der aktuellen Projekte stets in Echtzeit bereit.

Für ortsunabhängige, gemeinsame Brainstormings bieten sich Tools wie Miro an. Das Programm funktioniert wie ein White-Board im Web: je nach Zugriffsrechten können die Teilnehmer auf den Bildschirm schreiben, malen, Ideen einbringen etc.

zuletzt editiert am 10.05.2023