Eine Person lädt Kartons in einem offenen Lieferwagen, der vor einem Stapel von Holzpaletten geparkt ist.
Renault Kangoo Rapid: Wählbar ist der Kastenwagen in normaler Fahrzeuglänge L1 auch ohne B-Säule, sodass ein 145 cm breiter Zugang zum Laderaum entsteht – eine herausragende Innovation in der Lieferwagenklasse. (Quelle: Thomas Dietrich)

Betriebsführung 2024-10-01T07:08:24.183Z Lieferwagen: Einiges drin bei drei Kubik

Stadtlieferwagen sorgen für den Service in der Region. Hinter der Trennwand ist Platz für mindestens zwei Europaletten und bei einem Ladevolumen von etwa drei Kubikmetern lässt sich erstaunlich viel in Bewegung setzen. Längst hat man die Wahl zwischen Verbrenner oder E-Antrieb. 13 Modelle mit einem zulässigen Gesamtgewicht (zGG) von mindestens zwei Tonnen charakterisieren die Klasse.

Über Jahre hinweg scheint sich in der Lieferwagenklasse nicht viel verändert zu haben. Das mag vielleicht der erste Eindruck sein, doch lohnt es sich genauer hinzuschauen. Passend zu markentypischen Akzenten durfte zumindet manche Front bei einer Neuauflage ein wenig gestylter sein (Opel Combo), Blattfedern wurden endgültig von der Hinterachse verbannt (VW Caddy) und etwa 20 elektronische Assistenten können jetzt den Fahrkomfort bereichern (Mercedes Citan) – aber war's das dann?

Weit gefehlt: Zunächst kann man herausstellen, dass jedes herkömmliche Verbrenner-Modell auch einen alternativen Elektroantrieb anbieten kann. Ein Pionier der E-Mobilität, der jetzige Renault Kangoo E-Tech, fährt gar in zweiter Generation, hat anhaltende Schwächen bei der Reichweite korrigiert und vermag auch eine deutlich kürzere Ladezeit anzubieten.

Ein geöffneter Lieferwagen mit herausragenden Holzbrettern auf der Ladefläche, geparkt auf einem Parkplatz.
Ziemlich lang gemacht: Dank der schmaleren Flügeltür, die sich rechtwinklig arretieren lässt, kann der Mercedes Citan auch Fracht in Überlänge transportieren. (Quelle: Thomas Dietrich)

Innovation bei den Türen

Mit der als „Open Sesame“ bezeichneten Karosserievariante konnte der Kangoo in Normallänge ab 2021 sogar für eine verblüffende Innovation sorgen: Die B-Säule auf der rechten Seite kann zugunsten anderer konstruktiver Maßnahmen entfallen. Sind Beifahrertür samt Schiebetür geöffnet, ergibt sich hier ein komfortabel breiter Zugriff auf den Laderaum, wenn beispielsweise eine begrenzte Parklücke keinen Platz an den Hecktüren zulässt. Doch weg vom Besonderen beim Kangoo – wieder zurück zu Allgemeinem in der Lieferwagenklasse.

Architektur profitiert vom Baukasten

Die Karosserie für einen Lieferwagen wird mittlerweile so komplex entwickelt, dass aus dem Basiskonstrukt heraus nicht nur die Normallänge L1 mit gut 3 m3 im Laderaum entstehen kann. Ebenso bietet die Entwicklung eine um 25 oder gar 40 cm längere L2-Variante, die dann durchaus einen Kubikmeter mehr im Laderaum ermöglicht. Ein schwenkbares Trenngitter oder eine Öffnung in der Trennwand schafft zudem eine Durchlademöglichkeit bis über den geklappten Beifahrersitz, was zusätzlichen Stauraum von etwa einem halben Kubikmeter bringt.

Ein Blick in das Innere eines modernen Autos zeigt ein sauber gestaltetes Cockpit, bestehend aus einem Lenkrad mit Steuerungselementen, digitalem Tachodisplay, zentralem Touchscreen und komfortablen Sitzen.
Ob für Verbrenner oder E-Antrieb: Im Design der Marke zeigt sich die Instrumentierung zeitgemäß mit großem Display. (Quelle: Fiat Professional)

Damit nicht genug: Dank dieser Baukastenarchitektur sind auch Voraussetzungen geschaffen, um das Modell samt Verbrenner oder mit E-Antrieb fertigstellen zu können – und das sowohl für den Kastenwagen als auch für eine hochwertig ausgestattete Freizeit-Version.

Nutzlast maximal 1.000 Kilogramm

Zusätzliche Verstärkungen für die Karosse können zudem dafür sorgen, dass eine möglichst hohe Nutzlast zur Verfügung steht. Eine solche Auflastung kann man bei einigen Modellen über die Wunschausstattung separat ordern. Beim Verbrenner werden meist Werte zwischen 750 und 1.000 Kilogramm erreicht. Bei einem E-Antrieb mitsamt seinem schwergewichtigen Akku, der in dieser Klasse durchweg jeweils nur in einer Baugröße zur Anwendung kommt, reduziert sich die verfügbare Nutzlast entsprechend.

Ließ sich vor Jahren bei einem E-Antrieb nicht zusätzlich eine Anhängevorrichtung ordern, so ist die Entwicklung weitergegangen. 1.500 Kilogramm sind bei den meisten Modellen heute als Anhängelast möglich.

Ein professionell organisiertes Werkzeugaufbewahrungssystem im Inneren eines offen stehenden Fahrzeugs mit Schubladen und Regalen voller Werkzeugkoffer und Materialboxen.
Kangoo L1 ohne B-Säule: Statt starrer Trennwand gibt es hier ein schwenkbares Trenngitter in Kombination mit einem Rotationsregal von Sortimo – als Ausbauvorschlag für ein Servicefahrzeug. (Quelle: Sortimo)

Enge Verwandtschaft zum Pkw

Als Kasten erreicht der Stadtlieferwagen Caddy beispielsweise eine Normallänge von 450 Zentimeter und 485 Zentimeter in der verlängerten Maxi-Version, bei einem Wendekreis von 11,4 oder 12,1 Meter – das erweist sich als taugliche Voraussetzung für die Verwendbarkeit in der City mit knappen Parkstreifen.

Eine Probefahrt mit einem Caddy in L1 oder L2, Mercedes Citan, Opel Combo oder auch im preisreduzierten Renault Express offenbart Pkw-Qualitäten. Eine Überraschung ist dies nicht, denn schließlich werden gerade in der Lieferwagenklasse Kastenwagen und Pkw-Versionen in enger Verbindung entwickelt. Daher ist für manche Wunschausstattung auch der gehobene Komfortanspruch privater Nutzer Maßstab. Welche Punkte der Entscheider bei der Konfiguration eines neuen Lieferwagens mit in Betracht ziehen sollte, listet unter anderem der Textkasten „Infos und Tipps“ auf.

Entscheidungshilfe

Infos und Tipps

Klasse der Mikro-Vans aufgelöst

Über Jahre hinweg haben etliche Hersteller ihr Lieferwagen-Angebot mit sogenannten Mikro-Vans nach unten abgerundet. Dazu gehörten etwa Renault Kangoo Compact oder Citroën Nemo bzw. Peugeot Bipper – für die es nur noch Ersatzteile gibt. Von diesen Kleinfahrzeugen übrig geblieben ist der noch erhältliche Fiat Fiorino mit 2,5 m3 hinter der Trennwand. Wegen der geringen Größe findet er in dieser Übersicht keine Berücksichtigung – im Gegensatz zum Ford Courier, der inzwischen im Raumangebot zugelegt hat.

Punkte für die Kaufentscheidung

  • Seit dem 1.9.2024 gilt für neu zugelassene Pkw und leichte Nutzfahrzeuge die Abgasnorm Euro 6e. Entspricht ein Neufahrzeug noch Varianten der Euro 6d-Norm, handelt es sich um Lagerware von unbestimmtem Alter.
  • Die nutzbare Höhe im Laderaum beträgt etwa 110 oder auch 125 cm und erreicht damit für Pkw typische Maße.
  • Der Frachtraum wird meist halbhoch und spärlich verkleidet, der Boden kann völlig ungeschützt sein. Optionale Ausstattungen oder die Nachrüstung beim Fahrzeugausbauer schaffen Abhilfe.
  • Für eine Werkstatteinrichtung ergeben sich durchaus etliche Variationen, die zu einem Servicefahrzeug passen.
  • Ist der Kastenwagen nicht voll verblecht, sondern sind Trennwand und rechte Schiebetür verglast, hat der Fahrer eine bessere Sicht nach rechts hinten, beispielsweise bei vorfahrtberechtigten Straßen.
  • Partielle Öffnungen für die Trennwand bieten die meisten Hersteller. So lässt sich auch Langgut deponieren.
  • Eine Heckkamera oder zumindest Abstandswarner für den Heckbereich erleichtern das unfallfreie Rangieren ungemein.
  • Zahlreiche Assistenzsysteme sind mittlerweile serienmäßig oder optional erhältlich. So lassen sich kritische Situationen entschärfen (z.B. Fußgängererkennung oder Toter-Winkel-Warner). Ein Spurassistent kann helfen, kann aber auch nerven (z.B. durch Fehlalarme). Eine Müdigkeitserkennung vermag ein Assistent allermeist nicht zu leisten, allenfalls anhand der Lenkzeit zu errechnen.
  • Freisprecheinrichtung, Konnektivität und Navigation sollten zur Verfügung stehen, um mögliche Ablenkungen zu reduzieren.

Ob Serienausstattung oder optionale Ergänzungen: Assistenzsystem oder Chromapplikation werten auch diese Nutzfahrzeugklasse mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 2,0 bis etwa 2,4 Tonnen zu einem komfortablen Arbeitsplatz auf. Verarbeitungsgüte, Fahrverhalten und auch die mögliche Spurtstärke mit den zur Verfügung stehenden Motoren lassen kaum Wünsche offen – erst recht durch manchen Elektroantrieb, der selbst mit PS-starken Verbrennern gleichziehen kann.

Neue Zulassung gemäß Euro 6e

Apropos Verbrenner: Bis zum 31. August 2024 konnten Pkw-Modelle noch gemäß Euro 6d-ISC-FCM neu zugelassen werden. Diese Abgas-Prüfnorm setzt bereits enge Grenzen für Schadstoffe, die auch während der Fahrt unter verschiedenen Betriebszuständen einzuhalten sind. Eine Diagnose-Software an Bord zeichnet diese Werte auf, um per Schnittstelle bei einer Inspektion den Nachweis bieten zu können, dass Emissionsgrenzen eingehalten – oder überschritten – wurden.

Mit der Schadstoffnorm Euro 6e, die seit dem 1. September für eine Neuzulassung Voraussetzung ist, ändern sich Emissionsgrenzen nicht grundsätzlich, doch gelten engere Toleranzgrenzen für Stickoxide (NOx) und Werte für Feinstaub-Partikel. Weil Nutzfahrzeugmodelle in der Lieferwagenklasse eng mit der Pkw-Entwicklung und deren Vorgaben verbunden sind, ist es gut möglich, dass sich die Zulassungsfrist auch auf Kastenwagen auswirkt und Händler Fahrzeuge mit Tageszulassung (vor dem 1. September 2024 datiert) im Angebot haben. Denn über diesen Weg lassen sich noch Lagerbestände abbauen und das gleich mit Preisnachlässen kombinieren.

Frachtraum kann variabel sein

Vom Antrieb weiter zur Konfiguration der Karosse: Kommt für den Job im Metallhandwerk nur ein Kastenwagen infrage oder könnte es auch ein Kombi sein? Für die Kaufentscheidung ist eventuell einzubeziehen, dass mal Utensilien, mal Personen transportiert werden sollen. Letzteres realisiert beispielsweise der Caddy recht gut. Seit etlichen Jahren sind alle hinteren Sitze eines Kombis durch Steckverbindungen im flachen Boden verankert. Ein zeitraubendes Lösen von Schrauben entfällt, sodass selbst der als Personenwagen konfigurierte Fünf- oder Siebensitzer zum Frachter umfunktioniert werden kann.

Flexible zweite Sitzreihe

Beim Kastenwagen in Langversion bieten Hersteller zudem eine clevere Ausstattung unter der Bezeichnung Doppelkabine oder Mixto an: Hier kann der Aus- und Einbau hinterer Sitze komplett entfallen. Denn für die zweite Sitzreihe ist eine faltbare dreisitzige Bank in Kombination mit einem Trenngitter eingebaut. Würde man einen möglichst großen Laderaum benötigen, kann man mit wenigen Handgriffen die Rückenlehne der Bank umklappen und mitsamt Sitzpolster nach vorne falten. Dabei streckt sich das fest angebaute Trenngitter als Schutz für die erste Sitzreihe.

Statt eines Stahlgitters gibt es inzwischen auch Alternativen: ein Schutzgitter als Rollo – oder eine gänzlich neuartige Klapptechnik der Sitzbank, die mit der diesjährigen Markteinführung des Ford Connect verbunden ist.

Marken bilden Allianzen

Im Markt der Lieferwagen agieren die Anbieter kaum auf sich allein gestellt. Forschung, Entwicklung und Fertigung finden häufig im Verbund statt. Das ist für den Interessenten nicht gleich erkennbar, denn Wert legen die Designer auf das typische Outfit einer Marke, das sich vor allem in der Gestaltung der Front zeigt. Wenn sich jedoch zumindest in einzelnen Bereichen beträchtliche Investitionen mit Mitbewerbern teilen lassen, bringt dies erhebliche Vorteile. So profitiert ein Materialeinkauf deutlich, wenn sich Komponenten vereinheitlichen und somit auch Stückzahlen multiplizieren lassen.

Partnerschaften sind zwar langfristig angelegt, können aber durchaus auch neu gebildet werden, wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat. So hat der Wandel der französischen PSA-Gruppe hin zur Markenfamilie Stellantis bewirkt, dass die etliche Jahre währende Zusammenarbeit zwischen Renault-Nissan und Opel gelöst wurde. Das bedeutet: Renault Kangoo, Mercedes Citan und Nissan Town Star kommen wie gehabt aus gemeinsamer Produktion. Jedoch der Opel Combo und auch der Fiat Doblò rollen inzwischen unter der Regie von Stellantis vom Band, gemeinsam mit Citroën Berlingo und Peugeot Partner. Genau genommen muss hier auch noch Vauxhall als fünfte Stellantis-Marke (für den britisch-australischen Markt) erwähnt sein. Und selbst Toyota hat sich längst Kontingente in der Fertigung bei Stellantis gesichert und lässt dort den Proace City bauen.

Ford und VW arbeiten zusammen

In der europäischen Nutzfahrzeugsparte war Ford über Jahrzehnte eher Einzelgänger als erklärter Profiteur einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie. Doch aufgrund einer seit 2020 erklärten Kooperation mit VW Nutzfahrzeuge hat sich dies geändert. Im Segment der 2,8-Tonner hat Ford seinen kompakten Transporter Custom bereits im Markt und VW adaptiert dieses Konzept für den neuen Transporter, der Mitte September auf der Messe IAA Transportation in Hannover offiziell vorgestellt wurde.

Bei den Stadtlieferwagen entwickelt sich Ähnliches, es geht aber umgekehrt: VW überlässt Ford das seit Jahren etablierte Caddy-Konzept. Die Pkw-Variante ist bereits als Ford Tourneo Connect im Markt und den Connect-Kastenwagen kann man inzwischen auch in einigen Versionen konfigurieren.

Plug-in-Hybrid im Lieferwagen

Für die Antriebstechnik bringt Ford wiederum wichtiges Know-how in die Kooperation ein. Angekündigt ist bereits, dass der Connect im Herbst auch als Plug-in-Hybrid mobilisiert werden kann. Die rein elektrische Reichweite soll 110 Kilometer betragen. Da der Caddy bislang weitestgehend auf den Verbrenner fokussiert ist, wird sich der alternative Antrieb gut ins VW-Angebot einfügen lassen.

Ladung sichern ist wichtig

In einer Basisausstattung ist der Frachtraum im Lieferwagen allermeist spartanisch ausgestattet. Begründet ist dies durch den Wettbewerbsdruck, um einen möglichst attraktiven Einstiegspreis listen zu können. Doch strapazierfähige Boden- und Seitenverkleidungen sollten wichtige Bestandteile im Frachtraum sein, weil sie zum Werterhalt des Fahrzeugs beitragen und Dellen in der Karosserie verhindern können.

Die obligatorischen Verzurrösen am Boden erweisen sich eher selten als wirklich gebrauchstauglich. Weit nützlicher im Handwerkeralltag sind Verzurrleisten auf halber Höhe, denn in Kombination mit Spanngurt oder -stange können sie verhindern, dass Fracht während der Fahrt ins Wanken gerät. Über die Liste möglicher Optionen für das Neufahrzeug kann man bei der Konfiguration Passendes mitbestellen. Oder man bekommt das geeignete Interieur über einen Ausrüster, der den Laderaum sogar bis zur rollenden Werkstatt perfektionieren kann.

Vielfalt: von neu bis retro

Vergleicht man einen Lieferwagen neuester Technik mit einem Vorläufer, der noch in den 1980er Jahren vom Band lief, zeigen sich die Weiterentwicklungen überdeutlich. Von möglichen Emissionen ganz zu schweigen, haben inzwischen von der Ladungssicherung bis zur passiven Sicherheit sehr viele technische Systeme Einzug gehalten. So können mittlerweile rund 20 Fahrassistenzsysteme den Akteur hinter dem Lenkrad unterstützen. Entweder müssen sie durch EU-Vorgaben zur Serienausstattung gehören oder sie sind optional erhältlich.

Wer dennoch mit einem Augenzwinkern „die gute alte Zeit“ aufleben lassen möchte, kann dies auch fernab von Oldtimer-Technik verwirklichen. Denn Citroën bietet über den zertifizierten Autobauer Caselani einen werksneuen Berlingo in Normal- oder Langversion an, der durch eine Kunststoffverkleidung im Retro-Look französisches Flair verbreitet und damit garantiert auffällt – leider nicht zum Schnäppchenpreis (www.caselani.com). Ein solcher „Wellblechlieferwagen“ könnte jedoch genau der Kick sein in einem Marketingkonzept, das der Metallbauer für sich wirken lässt, um sich vom Wettbewerb abzusetzen.

zuletzt editiert am 02. Oktober 2024