Die Wiederverwendung tragender Stahlbauteile rückt zunehmend in den Fokus nachhaltigen Bauens. Sie bietet nicht nur Chancen zur CO₂-Reduktion und Ressourcenschonung, sondern kann auch zur Entkopplung von globalen Lieferketten sowie zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums beitragen.
Das neue Forschungsvorhaben des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg hat die technischen Grundlagen für die Wiederverwendung von Holz- und Stahlbauteilen erstmals systematisch aufgearbeitet. Aus dieser Facharbeit entstand ein Leitfaden, der speziell auch für das Metallbauerhandwerk viele praxisrelevante Empfehlungen bereithält.
Orientierung finden
Die Kernaussagen des Leitfadens sind eindeutig: Die Wiederverwendung von Bauteilen ist bislang aufgrund fehlender technischer Standards kaum realisiert worden. Mit dem vorliegenden Leitfaden will das Land Baden-Württemberg Abhilfe schaffen und den Weg zur standardisierten und nachvollziehbaren Wiederverwendung von gebrauchten Tragkonstruktionen ebnen. Dabei gelten die Vorgaben der Landesbauordnung Baden-Württemberg und die Technischen Baubestimmungen – der Leitfaden versteht sich als fachliche, aber rechtlich nicht verbindliche Empfehlung. Er gibt allen am Bau Beteiligten, insbesondere Planern, Prüfern und Metallbauunternehmen, konkrete Hilfestellung für die Antragstellung und die Erteilung erforderlicher Verwendbarkeitsnachweise, etwa im Rahmen einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) oder einer vorhabenbezogenen Bauartgenehmigung (vBg).

Bestand analysieren
Das Vorgehen ist klar und strukturiert: Am Anfang steht immer die Bestandsanalyse, unterteilt in eine Erst- und eine Detailprüfung. Für die Erstprüfung werden sämtliche verfügbaren Unterlagen – von Konstruktionsplänen und Prüfbescheinigungen bis zu CE- oder Ü-Zeichen – ausgewertet, gegebenenfalls ergänzt durch eine Vorbegehung und Schadstoffanalyse bei Verdachtsfällen. Die Detailprüfung schließt eine Objektbegehung durch eine fachkundige Person ein, bei der potenziell wiederverwendbare Bauteile markiert, bewertet und dokumentiert werden. Nur fachkundige Personen mit einschlägiger Erfahrung, wie sie durch die Bauministerkonferenz definiert werden, dürfen diese Prüfungen vornehmen. Zu begutachten sind dabei unter anderem Bauteil-Merkmale wie Oberflächenbeschaffenheit, Korrosion, Verformung, Abnutzung, Risse, Querschnittsschwächungen, Defekte sowie Schadstoffe. Werden gravierende Schäden, Defekte oder offensichtliche Mängel festgestellt, ist eine Wiederverwendung auszuschließen.
Schonend zurückbauen
Für den Rückbau empfiehlt der Leitfaden zwingend einen selektiven, möglichst bauteilschonenden Rückbau durch qualifizierte Fachbetriebe. Hierbei sind alle relevanten Bau-, Abfall- und Arbeitsschutzvorschriften zu beachten. Gerade bei geschraubten Verbindungen oder thermischem Trennen mit dem Schneidbrenner sind die jeweils entstehenden technischen Besonderheiten – etwa plastische Verformungen oder wärmebeeinflusste Schnittkanten – konsequent zu berücksichtigen. Nach dem Ausbau folgt die technische Prüfung der Bauteile: Für Stahlbauteile werden Prüfeinheiten gebildet und nach Protokoll umfangreiche Prüfungen – unter anderem Härte, Zugfestigkeit, chemische Analysen und zerstörungsfreie Prüfverfahren – verlangt. Der genaue Umfang richtet sich nach Alter, Ausgangsdokumentation und Ausführungsklasse des Bauteils (EXC 1–3). Für alle Prüfungen und gegebenenfalls Reklassifikationen verweist der Leitfaden auf die aktuellen produkt- und normenspezifischen Vorgaben.
Technisch aufbereiten
Im nächsten Schritt werden alle Bauteile technisch aufbereitet – das reicht vom Entfernen alter Anstriche und Fremdstoffe über die Reinigung und Ertüchtigung bis zur Reparatur thermisch belasteter Schnittkanten. Vor der Wiederverwendung von verzinkten oder beschichteten Bauteilen stehen zusätzliche Prüfungen der funktionalen Schichten an; bei umfangreichen Beschädigungen ist gegebenenfalls ein qualifizierter Sachverständiger gefragt. Besonderheit: Bauteile, die einer Ermüdungsbeanspruchung ausgesetzt waren, dürfen nach Leitfaden nur noch in ruhend beanspruchten Konstruktionen wiederverwendet werden und müssen intensiv auf Risse und Schwachstellen kontrolliert werden.
Neubemessen
Die Bemessung und Nachweisführung für wiederverwendete Bauteile orientiert sich am aktuellen Stand der Technik – darunter insbesondere die Eurocodes und bauaufsichtlich eingeführte nationale Anhänge. Die Bemessung erfolgt elastisch-plastisch, wobei für den Stabilitätsnachweis ein reduzierter Grenzausnutzungsgrad von 90 Prozent empfohlen wird. Bei plastisch-plastischer Bemessung ist jedoch ein Zugversuch zur Bestimmung der Bruchdehnung erforderlich.
Fazit
Für das Metallbauerhandwerk eröffnet der Leitfaden einen strukturierten, planbaren Weg, Wiederverwendung technisch und baurechtlich sicher umzusetzen und gleichzeitig einen aktiven Beitrag zur Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft zu leisten. Als verbindliches Nachschlagewerk empfiehlt er sich damit für Betriebsleitungen, Fachplaner und Sachkundige, die das Thema Wiederverwendung nicht nur aus ökologischer, sondern zunehmend auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive in ihre Planungspraxis integrieren möchten. Der Leitfaden steht unter dem Titel „Leitfaden zur Wiederverwendung tragender Bauteile“ auf der Homepage des Landes Baden-Württemberg zum Download bereit.