An den pulverbeschichteten Stahlhohlprofilen einer Aufzugsschachtkonstruktion bemängelte der Auftraggeber kaum sichtbare Unregelmäßigkeiten. Lesen Sie, warum das „hinzunehmende Unregelmäßigkeiten“ waren.
Eine Metallbaufirma hatte einen Aufzugsschacht in einem Hauptverwaltungsgebäude eines Unternehmens eingebaut. Der Fahrstuhl verbindet die Etagen vom Kellergeschoss bis zum dritten Obergeschoss. Die tragenden Stahlprofile des Aufzugsschachtes sind Quadratrohre nach der DIN EN 10219-1, -2 mit den Abmaßen: hundert Millimeter mal hundert Millimeter und vier Millimeter Wanddicke, achtzig Millimeter mal achtzig Millimeter und fünf Millimeter Wanddicke und sechzig Millimeter mal sechzig Millimeter und fünf Millimeter Wanddicke. Die Stahlkonstruktion wurde mit einer Pulverbeschichtung im Farbton Grau versehen. Die Schacht-Rahmenfüllung besteht aus Sicherheitsglas.
Der Bauherr bemängelte Unregelmäßigkeiten innerhalb der beschichteten Profiloberflächen. In der Hauptsache ging es um vertikal verlaufende linienförmige Unebenheiten innerhalb der Flächen der Vertikalstützen aus Quadratrohr hundert Millimeter mal hundert Millimeter und vier Millimeter Wanddicke.
Ein Sachverständiger wurde beauftragt zu klären, ob die tatsächlich vorhandenen Unregelmäßigkeiten regelkonform sind und damit hingenommen werden müssen.
Beim Vor-Ort-Termin fand der Sachverständige linienförmige Unregelmäßigkeiten an jeweils zwei Seiten der bemängelten Vierkantrohre vor. Die Intensität der visuellen Wahrnehmung der Unregelmäßigkeiten hing stark vom Betrachtungsabstand, vom Betrachtungswinkel, der Betrachtungsdauer und von der Beleuchtung ab. Beobachtet wurden durch den Sachverständigen linienförmige Vertiefungen auf der Oberfläche, die durch Fühlen und Abtasten in der vermuteten Intensität jedoch nicht bestätigt wurden.
Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass die als Vertiefung wahrgenommenen Unebenheiten tatsächlich mit üblichen Messmitteln, wie Messschieber (Tiefenmaß), nicht messbar waren.
Berücksichtigen Sie den Herstellungsprozess

Die für die Schacht-Stahlkonstruktion verwendeten tragende Stahlprofile wurden als kaltgefertigte Quadratrohre nach DIN EN 10219-1 und -2 hergestellt. Rohre entsprechend dieser Produktnorm verfügen an drei Seiten des Hohlprofils über besondere Merkmale, die ihren Ursprung im Fertigungsverfahren haben. Die Rohre werden aus einem Blech gefertigt. Dafür werden zunächst Blechstreifen in eine U-Form gekantet. Im nächsten Schritt werden die nun hochstehenden Schenkel wiederum um neunzig Grad gekantet, sodass ein geschlossenes Vierkanthohlprofil entsteht. Der Blechstoß wird verschweißt.
Die prozessbedingte Schweißnaht, die sich auf einer der vier Rohrseiten befindet, stellt eine bleibende Abweichung von einer ebenen und einheitlichen Fläche dar.
Die Oberflächen von zwei weiteren sich gegenüberliegenden Rohrwänden werden beim Abkantprozess von den Kantwerkzeugen (meist Rollen) mit erheblichen Kräften beaufschlagt. Das führt ebenfalls zu bleibenden Veränderungen innerhalb der Oberfläche. Das Oberflächengefüge wird gestaucht. Diese Veränderung ist im Rohzustand des Profils kaum wahrnehmbar. Erst bei einer Beschichtung wird die geringfügige Unebenheit durch Glanzgrad und Ebenheit der Lackschicht verstärkt und unter Umständen sichtbar.
Achten Sie auf die zulässigen Abweichungen
Zusatzinfos
Wo Sie mehr erfahren!
Handwerkerradio: Mehr aktuelle Schadensfälle können Sie im Handwerkerradio (im Internet unter www.handwerker-radio.de) hören. Dort werden regelmäßig unter anderem interessante Schadensfälle aus dem Metallbau besprochen.
Schadensfälle: Eine Reihe von Schadensfällen zum Thema Oberflächenbeschaffenheit ist in den Bänden 1 bis 5 „Schäden im Metallbau“ aus der RM Rudolf Müller Medien enthalten. Recherchieren können Sie auch auf der Schadens-Homepage www.schaeden-im-metallbau.de.
Fachregelwerk: Wichtige Informationen zum Thema finden Sie im Fachregelwerk Metallbauerhandwerk – Konstruktionstechnik im Kapitel 1.19 Hinzunehmende Unregelmäßigkeiten. Weitere Informationen zu den Büchern und zum Fachregelwerk erhalten Sie beim M&T-Kundenservice, E-Mail rudolf-mueller@vuservice.de oder von Mo-Fr von 7:30 bis 17 Uhr per Telefon unter 06123 9238 274.
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Baujahr: 2024
S chadensjahr: 2024
Im vorliegenden Fall hatte der Hersteller der Stahlkonstruktion während der Verarbeitung die Rechteckrohre so positioniert, dass die Rohrseite, in der sich die Schweißnaht befand, zum Glaseinsatz ausgerichtet war. Dadurch wurde die Schweißnaht nicht als störend wahrgenommen. Sie war quasi unsichtbar. Die Schweißnähte sind meist die am deutlichsten sichtbaren Unregelmäßigkeiten auf beschichteten Oberflächen. Eine der drei übrigen Rohrseiten hat meist herstellungsbedingt eine relativ glatte Fläche. Die weiteren zwei Seiten können geringfügig beeinträchtigt sein.
Die bemängelten Unregelmäßigkeiten sind herstellungsbedingt und tatsächlich in einem definierten Toleranzbereich unvermeidbar und hinzunehmen.
Auszug aus der DIN EN 10219-1 Kaltgefertigte geschweißte Hohlprofile für den Stahlbau aus unlegierten Baustählen und aus Feinkornbaustählen; Teil 1: Technische Lieferbedingungen:
„6.9 Oberflächenbeschaffenheit
6.9.1 Die Hohlprofile müssen eine dem Herstellverfahren entsprechende glatte Oberfläche haben. Auf das Herstellverfahren zurückzuführende kleinere Wülste, Vertiefungen oder Längsriefen sind zulässig unter der Voraussetzung, dass die verbleibende Wanddicke innerhalb der Grenzabmaße liegt.“
Die Grenzabmaße sind in der DIN EN 10219-2 Kaltgeformte geschweißte Hohlprofile für den Stahlbau; Teil 2: Grenzabmaße, Maße und statische Werte erklärt und der Tabelle 2 zu entnehmen.
Die Quadratrohre aus hundert Millimeter mal hundert Millimeter mit den Unebenheiten haben eine Wanddicke von vier Millimetern. Das zulässige Abmaß errechnet sich also aus dem Bereich kleiner/gleich fünf Millimeter. Der Tabelle 2 der Norm ist zu entnehmen, dass das Istmaß der Wanddicke das Nennmaß um maximal 0,4 Millimeter unterschreiten darf. Die Unregelmäßigkeiten an den Stahlprofilen waren mit üblichen Messwerkzeugen nicht messbar. Sie lagen deshalb im Toleranzbereich.
Fazit: Kennen Sie die Toleranzen
Die bemängelten Unregelmäßigkeiten auf den beschichteten Stahloberflächen der Aufzugsschachtkonstruktion sind durch die Toleranzvorgaben aus der DIN EN 10219-1 und -2 abgedeckt. Damit sind tatsächlich keine Unregelmäßigkeiten innerhalb der Rohroberflächen gegeben, die nicht hinnehmbar sind.
Die DIN EN 10219 beschreibt die Mindestanforderungen, die es gilt heranzuziehen, wenn keine höheren Ansprüche vertraglich vereinbart sind.
Im vorliegenden Fall war kein höherer Standard der Oberflächenbeschaffenheit vereinbart. Sollten diese vereinbart werden, ist das allerdings mit deutlich höheren zusätzlich zu vergütenden Kosten verbunden. Das ist in der Regel für solche Objekte nicht üblich.
Lese-Tipp
Informieren Sie sich über Grenzfälle
Im Februar 2025 ist der sechste Band in der Schadensfallbuchreihe mit dem Untertitel „Grenzfälle“ erschienen, der viele wie im Beitrag beschriebene Fälle enthält. In den neuen einhundert Schadensfällen stehen die nicht sofort klaren, eindeutigen Mängel im Mittelpunkt. Es sind die Fälle, die sich im Grenzbereich der Toleranzen bewegen, bei denen sich die Ursachen nicht auf den ersten Blick erschließen oder bei denen der Kunde einfach nur die Rechnung kürzen wollte.
Hier ein kleiner Überblick, um welche (auch vermeintlichen) Schäden es sich dabei handeln kann:
- Streitpunkte, die gar kein Mangel waren.
- Fremdschäden,
- Folgeschäden,
- versteckte Schäden,
- Materialschäden,
- Streitfälle um fehlende Dokumente.
Dabei sind aber auch einige offensichtliche Schäden, die allerdings einen speziellen Lerneffekt für den Metallbauer haben.
Wenn Sie die Erkenntnisse aus den einhundert Fällen und die Tipps der 26 Autoren bei Ihrer Arbeit berücksichtigen, können Sie in Zukunft vielleicht den einen oder anderen Streit mit dem Kunden und damit Zeit, Geld, Imageschaden, Stress und Ärger vermeiden. Weitere Informationen sowie Bestellmöglichkeiten unter www.baufachmedien.de/schaeden.